Hinrich Uellendahl spricht über das Bachelorprogramm Green Engineering.

Wie lassen sich technische Innovation und Klimaschutz verbinden? Prof. Dr. Hinrich Uellendahl, Studiengangsleiter des Bachelorprogramms Green Engineering, erklärt im Interview, warum nachhaltige Verfahrenstechnik heute gefragter ist denn je – und welche Rolle Wasserstoff, Kreislaufwirtschaft und Sektorkopplung dabei spielen. Ein Gespräch über technologische Verantwortung, praxisnahe Ausbildung und die Karrierechancen einer neuen Generation von Ingenieurinnen und Ingenieuren.
Warum ist Green Engineering heute wichtiger denn je – und welche Rolle spielt die Verfahrenstechnik bei der Lösung globaler Umweltprobleme?
Der Begriff Green Engineering steht für die Entwicklung und Anwendung von Technologien, die dem Umwelt- und Klimaschutz dienen. Wir haben diesen Studiengang bewusst so benannt, um alle technischen Ansätze zur Emissionsvermeidung, Ressourcenschonung und CO₂-Reduktion unter einem Dach zusammenzuführen.
Klassische Umwelttechnik zur Vermeidung von Schadstoffen werden seit den 1980er-Jahren entwickelt. Heute kommen Technologien für den Klimaschutz hinzu, insbesondere die Reduktion von Treibhausgasemissionen. Hier spielt die Verfahrenstechnik in allen Industriezweigen eine zentrale Rolle: Sie entwickelt Prozesse, mit denen Produkte effizienter und umweltverträglicher hergestellt werden können, d.h. mit geringeren Emissionen und geringerem Energie- und Ressourcenverbrauch. Somit werden in der Verfahrenstechnik Prozesse für eine nachhaltige Wirtschaftsweise entwickelt.
Welche innovativen Technologien spielen dabei im Studiengang eine besondere Rolle?
Drei Bereiche möchte ich besonders hervorheben: Erstens: Die Wasserstofftechnologie. Wasserstoff ist ein zentraler Baustein der Energiewende, etwa zur Speicherung überschüssiger erneuerbarer Energie. Wir haben ein eigenes Wasserstofflabor aufgebaut, in dem unter anderem die Erzeugung von grünem Wasserstoff aus Strom von erneuerbaren Energien durch den Elektrolyseprozess, geforscht wird.
Zweitens: Die Sektorkopplung. Hier geht es darum, verschiedene Energiesektoren – Strom, Wärme, Mobilität – intelligent miteinander zu verbinden. Im Testlabor Sektorkopplung führen wir zum Beispiel Elektrolyse- und Biogas-Prozess zusammen, um synthetische Kraftstoffe herzustellen. Das ist insbesondere für CO₂-neutrale Treibstoffe im Schiffsverkehr relevant.
Drittens: Die Kreislaufwirtschaft. Auch dies ist ein eigenständiges Modul im Studiengang. Ziel ist es, Ressourcen zu schonen, etwa durch Einsatz Ressource schonender Verfahren, Recycling oder langlebige Produktgestaltung. Die technologische Umsetzung solcher Konzepte ist ein zentrales Thema im Curriculum.
Welche Kompetenzen erwerben die Studierenden, um diese Prozesse aktiv mitzugestalten?
Die Studierenden lernen, technische Systeme ganzheitlich zu denken, d.h. nicht allein den Produktionsprozess zu analysieren und zu optimieren, sondern auch das Produkt an sich in Hinblick auf seine Nachhaltigkeit zu verbessern. Daher spielen neben ingenieurwissenschaftlichem Fachwissen auch die Begriffe Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Prozessintegration eine zentrale Rolle. Die Methodik des Life Cycle Assessment wird den Studierenden zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Technologien und Produkten in die Hand gegeben. Und nicht zuletzt geht es auch darum, technologische Entwicklungen gesellschaftlich einzuordnen – etwa im Hinblick auf ihre soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
Welche Karrierewege eröffnen sich den Absolventinnen und Absolventen?
Die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften in der Verfahrenstechnik ist enorm. Und das branchenübergreifend. In der Industrie werden dringend Leute gesucht, die Prozesse nachhaltig gestalten können. Ein gutes Beispiel ist die Impfstoffproduktion während der Corona-Pandemie: Die Hochskalierung von biologischen Verfahren war ein verfahrenstechnisches Problem. Ohne diese Expertise konnten die Mengen gar nicht produziert werden. Das zeigt: Green Engineering ist keine Nische, sondern betrifft alle Industrien, die sich aktuell transformieren müssen – ob Chemie, Energie, Lebensmittel oder Pharma. Die Rückmeldung aus der Praxis ist eindeutig: "Schickt uns Leute!" Und das tun wir gerne.
Wie wird das Thema Nachhaltigkeit nicht nur fachlich, sondern auch als Haltung im Studium vermittelt?
Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema. Fachlich, aber auch werteorientiert. In meinem Masterkurs zur Ökobilanzierung (Life Cycle Assessment) führe ich den Begriff systematisch ein. Dabei geht es nicht nur um die Umweltwirkungen eines Produkts, sondern auch um soziale und wirtschaftliche Aspekte. Die Studierenden lernen, dass Nachhaltigkeit mehr ist als CO₂-Minderung. Sie erfordert ein ganzheitliches Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge. Und dieses Verständnis prägt auch ihre spätere Rolle als Ingenieurinnen und Ingenieure.
Wie können sich die Studierenden bereits im Studium praxisnah mit realen Herausforderungen auseinandersetzen?
Praxisnähe ist uns von Anfang an sehr wichtig. Bereits im ersten Semester bieten wir ein Laborprojekt an, in dem die Studierenden erste eigene Versuche durchführen. Parallel zu den Grundlagen in Mathematik, Physik und Chemie können sie so direkt einen Bezug zur realen Technik herstellen.
In den höheren Semestern setzen wir das mit begleitenden Laboren in verschiedenen Modulen fort. Zusätzlich fließen aktuelle Forschungsprojekte in die Lehre ein, beispielsweise zur Wasserstofferzeugung oder zu synthetischen Kraftstoffen. Damit lernen die Studierenden nicht nur die Theorie, sondern auch deren Anwendung kennen und sind bei neuesten Entwicklungen hautnah dabei.
