Wie sichern wir die medizinische Versorgung auf dem Land? Mit dieser Frage hat sich Amelie Harksen in ihrer Bachelorarbeit beschäftigt – und liefert mit ihrer systematischen Analyse und ihren differenzierten Lösungsansätzen kluge Impulse für die Zukunft der Primärversorgung. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem Dr.-Hans-Adolf-Rossen-Preis der IHK Flensburg ausgezeichnet.

Die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen ist ein Dauerthema – aber eines, das an Dringlichkeit gewinnt. In ihrer Bachelorarbeit an der Hochschule Flensburg hat sich Amelie Harksen genau diesem Thema gewidmet. Die 26-Jährige bringt dabei nicht nur wissenschaftliche Perspektiven ein, sondern auch persönliche: Beide Eltern sind Allgemeinmediziner, der Vater ein klassischer „Landarzt“ – mitten in Schleswig-Holstein. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem Dr.-Hans-Adolf-Rossen-Preis der IHK Flensburg ausgezeichnet.
„Ich habe früh mitbekommen, wie herausfordernd es ist, flächendeckend gute Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen“, sagt Amelie Harksen, die Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Management im Gesundheitswesen an der Hochschule Flensburg studiert hat. „Und wie wenig systemisch eigentlich getan wird, um diese Herausforderungen langfristig zu lösen.“ In ihrer Arbeit analysiert Amelie ein deutliches Missverhältnis: Auf der einen Seite steigt durch den demografischen Wandel der medizinische Bedarf – mehr ältere, oft chronisch kranke und multimorbide Menschen. Auf der anderen Seite sinkt das verfügbare medizinische Personal. Nur rund zehn Prozent der Medizinstudierenden entscheiden sich für die Allgemeinmedizin – obwohl es sich um die am häufigsten aufgesuchte Facharztgruppe handelt.
Vier Kategorien von Lösungsansätzen
Anstatt nach der einen großen Lösung zu suchen, schlägt Amelie Harksen ein vernetztes Konzept vor. Ihre Lösungsansätze gliedern sich in vier Bereiche:
- Wohnortnahe Versorgung
- Wohnortferne Versorgung
- Wohnortunabhängige Versorgung
- Patient Empowerment
Dabei bindet sie internationale Erfahrungen ebenso ein wie technologische Entwicklungen. „Die Realität ist: Die Wege auf dem Land sind weit, und es wird auch in Zukunft nicht genug Ärztinnen und Ärzte geben. Also müssen wir Versorgung neu denken“, so Amelie Harksen.
Digitalisierung als Chance – wenn sie gut gemacht ist
Ein Lösungsansatz: Telemedizinische Angebote könnten Versorgungslücken schließen, allerdings nur, wenn auch digitale Infrastruktur vorhanden ist und Patient*innen die Anwendungen sicher nutzen können. Amelie Harksen verweist hier auf ein Projekt, bei dem Gesundheitsstationen mit robotischer Diagnostik ausgestattet werden. Diese könnten Basisdaten selbstständig erfassen und zur ärztlichen Auswertung übermitteln, ohne dass dafür dauerhaft medizinisches Fachpersonal vor Ort sein muss.
Patient Empowerment: Kein Ersatz, sondern Ergänzung
Ein weiterer Schlüsselbegriff ihrer Arbeit: Patient Empowerment – also die Befähigung der Menschen, sich aktiv mit ihrer eigenen Gesundheit auseinanderzusetzen. Amelie Harksen stellt aber klar: „Patient Empowerment ersetzt keine medizinische Versorgung. Es ist eine wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz für ärztliches oder pflegerisches Handeln.“ Wichtig sei, dass Patient*innen besser informiert werden, ohne sich dabei in ihre Krankheiten hineinzusteigern. Projekte wie das „Patienten-Navi“ der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin helfen bei der Orientierung: Wer gehört wirklich in die Notaufnahme, wer eher in die hausärztliche Versorgung? Auch „MedFluencer“, also medizinisch qualifizierte Influencer*innen, spielen aus Sicht der Absolventin eine wachsende Rolle bei Gesundheitsaufklärung. Natürlich nur, wenn sie sachlich und fundiert arbeiten.
Wunsch an die Politik: Mehr als Ärzte
Wenn sie einen Wunsch an die Politik äußern dürfte? Dann diesen: weg vom ausschließlich ärztezentrierten System. „Andere Berufsgruppen wie Pflegefachkräfte, Physiotherapeut*innen oder Physician Assistants können viel mehr leisten, als ihnen aktuell zugetraut wird“, betont sie. Die USA etwa zeigten, wie solche Berufe sinnvoll in die Versorgung eingebunden werden können.
Dem stimmt auch Prof. Dr. Beatrice Podtschaske zu: "Die Arbeit von Harksen zeigt, dass die Versorgung der Zukunft anders aussehen muss. Sie muss intelligenter vernetzt, technikoffen, interprofessionell und näher an den Menschen sein. Ihr Beitrag ist dabei mehr als eine gute Abschlussarbeit. Er ist ein kluger, engagierter Impuls aus dem Norden für ein System, das sich bewegen muss."
Aus Theorie wird Praxis
Nach ihrem Studium an der Hochschule Flensburg bleibt Amelie Harksen dem Gesundheitssystem erhalten – allerdings weniger theoretisch: Im Herbst beginnt sie eine Ausbildung zur Physiotherapeutin. „Ich will noch näher an den Menschen sein. Aber mein Wissen aus dem Studium kann ich dabei ideal einbringen – etwa beim Verständnis für Versorgungsstrukturen oder interprofessionelle Zusammenarbeit.“