Mit einer preisgekrönten Idee sorgt der Windenergieprofessor Clemens Jauch für ein träges Stromnetz – und stellt die Versorgung mit erneuerbaren Energien für die Zukunft auf sichere Füße.
Was haben kunstvolle Sprünge und Pirouetten auf der Eisbahn mit der Energiewende zu tun? Wenig bis gar nichts trifft es wohl ziemlich genau. Doch Clemens Jauch hat eine Eiskunstläuferin zur Patin seiner Idee gemacht – einer Idee, die erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung und das Gelingen der Energiewende haben könnte.
Clemens Jauch ist Professor für Windenergietechnik am Institut für Windenergietechnik (WETI) der Hochschule Flensburg. Hier beschäftigt er sich unter anderem damit, wie das Stromnetz aussehen muss, soll es künftig nur noch durch Windenergieanlagen, Solaranlagen oder andere Erzeuger regenerativer Energien versorgt werden. Vor dem Hintergrund der Diskussion um Speichermöglichkeiten, den Bau von Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland und immer neuer Ökostromtarife scheint die Energiewende im Stromnetz schon weit vorangeschritten zu sein. „Dem ist aber nicht so“, sagt Jauch, „im Schatten der Energiewende hat sich ein Problem entwickelt, das bisher kaum wahrgenommen wird.“ Dabei geht es um die schwindende Trägheit im Netz.
Damit die meisten unserer elektrischen Geräte funktionieren, muss die Netzfrequenz bei 50 Hz liegen, was nur erreicht werden kann, wenn die erzeugte Leistung dem Verbrauch entspricht. Wird plötzlich mehr oder weniger Strom verbraucht, ändert sich die Frequenz. Das Ungleichgewicht muss ausgeglichen werden, mittels sogenannter Primärregelkraftwerke. Bis diese jedoch die geforderte Leistung aufgebracht haben, verhindert die Systemträgheit eine inakzeptable Veränderung der Netzfrequenz. „Stellen Sie sich vor, sie fahren bei gleichbleibender Stellung des Gaspedals mit dem Auto plötzlich bergauf“, sagt Jauch, „da bleiben Sie ja nicht sofort stehen, sondern werden allmählich langsamer.“
Die Trägheit resultiert aus den rotierenden Massen der am Netz befindlichen Maschinen, zum Beispiel den Turbinen. Solche gibt es in einem Netz, das ausschließlich mit erneuerbaren Energie versorgt wird, kaum noch. Wie kann man also Windenergieanlagen dazu bringen, dass sie das Netz mit der nötigen Trägheit versorgen? Hier kommt die Eiskunstläuferin ins Spiel. „Dreht sich eine Eiskunstläuferin mit ausgestreckten Armen, hat sie eine große Trägheit und dreht sich langsam“, erklärt Jauch. Ziehe sie die Arme an, beschleunigen sich die Drehungen, da sie weniger träge ist. „Dieses Prinzip habe ich auf den Rotor einer Windenergieanlage übertragen“, sagt Jauch kurz und knapp. Gerade ist er für diese Entwicklung beim Ideenwettbewerb Schleswig-Holstein mit dem Sonderpreis Green Economy ausgezeichnet worden.
Die Jury wie auch die Fachwelt sind begeistert von dem Vorhaben, im Rotorblatt zwei Kolbenspeicher – einen außen (nahe der Blattspitze) und einen innen am Rotor (nahe der Nabe) – einzubauen und diese mit einer Hydraulikflüssigkeit zu befüllen. „Wird die Flüssigkeit nach außen geschoben, wird das Massenträgheitsmoment groß, wie bei der Eiskunstläuferin, die ihre Arme ausstreckt, und Rotationsenergie wird eingelagert“, erklärt Jauch. Wird zu einem anderen Zeitpunkt zusätzliche Leistung im Netz gebraucht, wird die Hydraulikflüssigkeit in die inneren Kolbenspeicher gedrückt. Das ist dann so wie wenn die Eiskunstläuferin ihre Arme anzieht, was dazu führt, dass sie sich schneller dreht. Das beschleunigende Drehmoment wird in der Windenergieanlage jedoch nicht dazu genutzt, um die Drehzahl der Anlage zu erhöhen, sondern die entstehende Leistung wird ins Netz gespeist, um kurzzeitig einen zu abrupten Frequenzabfall zu verhindern – bis die Primärregelkraftwerke Verbrauch und Leistung wieder in Gleichklang bringen. „Leistung bei einer Windkraftanlage abzuregeln, ist einfach. Aber mit dieser Methode können wir schnell Leistung ins Netz bringen“, sagt Jauch. Das Netz wird träge.
Jauchs Idee hat aber noch einen mindestens ebenso wichtigen Zusatznutzen: Mithilfe der verschiebbaren Masse können Windenergieanlagenhersteller auch das Problem der Materialermüdung durch die Schwingung der Anlage abmildern. Windenergieanlagen sind hochgradig schwingungsfähige Systeme. Moderne Windenergieanlagen mit ihren langen und schlanken Rotorblättern und Türmen sind sogar so sehr von schädlichen Schwingungen bedroht, dass man sie aktiv vor Beschädigung durch zu große Schwingungen schützen muss. „Wir können mit den verschiebbaren Massen Resonanzen verhindern. Das heißt, wir können verhindern, dass sich die Schwingungen etwa eines Rotorblattes derart aufschaukeln, dass dieses zu schnell ermüdet beziehungsweise im Extremfall sogar bricht“, sagt Jauch.