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„Fehler sind keine Makel, sondern Teil des Lernprozesses.“

Prof. Dr.-Ing. Torsten Steffen verlässt nach einer prägenden Karriere als Professor und Ingenieur die Hochschule Flensburg. Im Gespräch erzählt er von den bedeutendsten Momenten seines Lebens, den Herausforderungen in der Ausbildung und seiner Leidenschaft für neue Technologien.

"Ich habe das Gefühl, dass alles genau zur richtigen Zeit passiert ist – auch die schwier
"Ich habe das Gefühl, dass alles genau zur richtigen Zeit passiert ist – auch die schwierigen Dinge", sagt Torsten Steffen. – Foto: Mirco Höfer

Torsten, wenn Du auf Deine lange Laufbahn als Professor und Ingenieur zurückblickst: Was war für Dich der prägendste Moment in Deiner beruflichen Laufbahn?

Das war, als mir bewusst wurde, dass ein Schalter umgeswitcht wurde. Als ich 2002 Professor in Emden geworden bin, da war ich noch sehr stark in den tradierten Ansichten zu Lehre und Lernen verhaftet. Dann habe ich aber ab 2004 eine Solarrennboot AG für Studierende ins Leben gerufen. Das waren ausnahmslos Studierende, die sehr engagiert, aber keine Einser-Kandidaten waren. Nun war ich ja vorher in der Industrie tätig und habe eine kleine Entwicklungsabteilung geleitet. Diesen Studierenden hätte ich sofort einen Job in meiner Abteilung gegeben.

Warum?

Weil sie intrinsisch motiviert waren. Das war für mich ein Aha-Effekt. Diese Studierenden sind, wie die sprichwörtlichen Springpferde, immer nur so hochgesprungen wie sie mussten. Aber in der AG, wenn sie motiviert waren, dann gehen sie ab.

Du hast neben dem Solarboot auch andere studentische Projekte betreut, etwa das Windauto Aeolus-Racing. Gibt es ein Projekt, das für dich besonders herausfordernd oder erinnerungswürdig war?

Also ich glaube schon das Solarboot war am prägendsten. Ich selber war zweimal mit, als wir zur Solarboot-Weltmeisterschaft in Monaco, dem Solar1 vom Königlichen Jachtclub eingeladen wurden, richtig im Smoking und mit Party. Es war schon cool, da mal reinzuschnuppern und vor allen Dingen den Studierenden das zu zeigen, daran teilzunehmen. Das war ein Highlight.

Die Studierenden haben viel von Dir erfahren und gelernt. Gibt es etwas, das du von den Studierenden, den jungen Menschen im Studium, im FabLab gelernt hast?

Ganz viel! Besonders dann, wenn ich mal auf dem falschen Weg war, haben mir die Studierenden oft wertvolle Rückmeldungen gegeben und gefragt: "Können wir das nicht anders machen?" Genau das schätze ich sehr. Im FabLab pflegen wir ein sehr kollegiales Miteinander mit flachen Hierarchien, alle sind per Du. In unseren Besprechungen, so glaube ich, könnten Außenstehende kaum erkennen, wer hier eigentlich die Leitung hat. Jeder bringt sich gleichberechtigt ein, und genau das hilft uns, Dinge voranzutreiben. Wenn ich mal unbewusst von diesem Prinzip abgewichen bin, habe ich durch das Feedback der Studierenden und meiner Mitarbeiter*innen gelernt, nachzusteuern. Das zeigt mir immer wieder, wie wichtig es ist, offen für neue Perspektiven zu bleiben.

Torsten Steffen spricht mit dem Intereveiwer, den man nur im Anschnitt sieht.
„Die Studierenden haben mir oft wertvolle Rückmeldungen gegeben – vor allem, wenn ich mal auf dem falschen Weg war", sagt Torsten Steffen beim Gespräch auf dem roten Sofa im FabLab. – Foto: Mirco Höfer

Das FabLab ist ja eine der großen Errungenschaften – für die Hochschule, aber auch für Dich. Was bedeutet Dir dieser Ort persönlich? Und wie hast du es geschafft, diesen als festen Bestandteil für die Schulbildung zu etablieren?

Ein FabLab zu gründen, war schon lange mein Wunsch. Es ist einer der Hauptgründe, warum ich 2016 von Emden nach Flensburg gewechselt bin. In den Berufungsverhandlungen hat mir die damalige Kanzlerin, Sabine Christiansen, zugesichert, dass ich hier ein FabLab aufbauen kann – das war für mich ausschlaggebend. Viele sagen ja, das FabLab ist mein zweites Wohnzimmer, und das trifft es ganz gut. Ich verbringe hier viel Zeit, weil es mir Spaß macht, mit Studierenden, Makern und Makerinnen zusammenzuarbeiten, Dinge voranzubringen und anderen genau dabei zu helfen. Dass das FabLab über die Hochschule hinaus eine so große Wirkung entfalten konnte, lag vor allem am GrinSH-Projekt. Als Innovative Hochschule haben wir Fördermittel bekommen, um das FabLab als außerschulischen Lernort in der Region zu etablieren. Und das hat über das Projektende hinausgewirkt – viele Schulen wollten weiterhin kommen, oft mehr, als wir bewältigen konnten. Ich hoffe, dass das mit neuen Förderprogrammen wie DLC wieder möglich wird.

Hat es auch neue Studierende angelockt?

Ob das FabLab direkt die Studierendenzahlen erhöht hat, lässt sich schwer beweisen. Leider! Aber wir haben definitiv viele Schülerinnen und Schüler auf den Campus geholt und sie niedrigschwellig für MINT-Fächer begeistert. Das hat sicher einen positiven Effekt gehabt – wie groß der ist, wäre spannend, mit konkreten Daten zu belegen. Unabhängig davon sorgt das FabLab aber für Transparenz, Außendarstellung und Vernetzung – Dinge, die der Hochschule auf jeden Fall guttun.

Die MINT-Förderung ist ein fester Bestandteil der Schulen. Welche Herausforderungen siehst Du dabei? Welche Techniken braucht es, um diese Techniken Kindern und Jugendlichen noch begreifbarer zu machen?

Die Lehr- und Lernformate, die wir bisher entwickelt haben, sind bereits sehr anschaulich, aber es gibt definitiv noch Potenzial für Verbesserungen und Anpassungen. Vor allem müssen wir noch stärker in die Breite gehen und überlegen, wie wir unseren alternativen Lernansatz weiterverbreiten können. Wir setzen stark auf projekt- und produktorientiertes Lernen. Dabei entsteht intrinsische Motivation von alleine – die Schüler und Schülerinnen wollen ihre Projekte erfolgreich abschließen und nehmen den MINT-Inhalt quasi nebenbei auf, anstatt ihn als „Pflichtstoff“ zu empfinden. Diesen Ansatz könnten wir noch konsequenter weiterentwickeln, um MINT-Fächer für Kinder und Jugendliche noch greifbarer zu machen. Eine große Herausforderung wird in den kommenden Jahren der Bereich Künstliche Intelligenz (KI) sein. Im DLC-Projekt haben wir bereits begonnen, Lehr- und Lernformate entsprechend anzupassen. Wir lassen zum Beispiel bestimmte Muster oder Formeln von KI entwickeln und analysieren gemeinsam, wie die KI darauf reagiert, wo ihre Grenzen liegen und worauf man achten muss. Dieses Verständnis wird immer wichtiger, und wir müssen Wege finden, es möglichst früh in die MINT-Förderung zu integrieren. Also das wird sicherlich die Herausforderung der nächsten Jahre sein.

Ihr verfolgt hier im FabLab – wie schon angesprochen - einen praxisorientierten Ansatz, das eigenständige Experimentieren. Welche Bedeutung hat das für dich?

FabLabs funktionieren so gut, weil sie einen völlig anderen Ansatz bieten als Schule oder Studium. Hier kommen Menschen – egal ob Schüler*innen, Studierende oder Bürger*innen – zusammen, um Dinge auszuprobieren. Das bedeutet, wir haben eine ganz andere Fehlertoleranz-Kultur. Fehler sind hier keine Makel, sondern Teil des Lernprozesses. Das ist ein Aspekt, den wir in Zukunft noch stärker adressieren müssen. Ich habe in meinen Kursen bewusst versucht, diesen experimentellen Ansatz einzubauen. Es geht nicht nur darum, Aufgaben „richtig“ zu lösen, sondern zu lernen, Dinge selbstständig auszuprobieren. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass einige Studierende nur aus einem Leistungsgedanken heraus handeln: „Was muss ich tun, um eine bessere Note zu bekommen?“ Sie erkennen oft gar nicht, welchen persönlichen Mehrwert es hat, sich auf neue Prozesse einzulassen. Das ist eine Herausforderung, besonders in Deutschland, wo der Leistungsgedanke tief verankert ist – von der Grundschule an. Selbst wenn Noten durch Symbole ersetzt werden, bleibt das Prinzip gleich: „Warum hat er drei Herzpunkte und ich nur zwei?“ Dabei wäre es viel wertvoller, wenn jeder sich einfach mit Freude einbringt und dabei seine eigenen Stärken entdeckt. Wenn wir das erreichen, haben wir gewonnen.

Gibt es Momente oder Begegnungen mit Studierenden, die Dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

Boah, ganz viele. Vielleicht tatsächlich jetzt fast alle Studierende des letzten ersten Semesters im Maschinenbau. In ihrem ersten Semester nehmen die Studierenden traditionell am Roboterrennen teil. Normalerweise starten sie mit einer einfacheren Aufgabe, dem Bau einer Brücke. Doch dieses Mal wollte ich etwas Neues ausprobieren: Sie sollten einen vollständigen Mechanismus entwickeln. Was dann passiert ist, hat mich absolut begeistert. Alle Studierenden haben weit über das erwartete Maß hinaus gearbeitet. Wenn 100 Prozent bedeutet, zu bestehen, waren sie irgendwo bei 400 oder 500 Prozent. Die ersten Prototypen wurden nicht einfach akzeptiert – die Studierenden haben sie weiter verbessert, neu designt, hinterfragt und optimiert. Genau das ist es, was das Studium so geil macht: Diese intrinsische Motivation, Dinge wirklich verstehen zu wollen. Als ich dann die Präsentationen am Ende des Semesters gesehen habe, ging mir wirklich das Herz auf.

Was ein schönes Abschlussgeschenk vom ersten Semester! Du hast ja schon von KI gesprochen, und ich glaube, Du probierst auch jede neue technische Innovation aus. Was sind technologische Entwicklungen, die Dich besonders fasziniert oder sogar verändert haben?

Also es ist sicherlich die komplette Fertigungstechnologie, die es jetzt im Fablab gibt. Ich bin mit dem Schrauben aufgewachsen – angefangen mit Mofas, dann Kleinkrafträdern und später Autos. Dabei war ich immer darauf aus, Dinge zu verändern, zu reparieren oder zu optimieren. Aber vieles war früher schlicht nicht zugänglich. Heute ist das anders: Open-Source-Technologien, erschwinglicher 3D-Druck, günstige Laser-Cutter – plötzlich sind Werkzeuge, die früher unerschwinglich waren, für den Heimgebrauch nutzbar. Das hat mein Denken verändert. Ich habe selbst mittlerweile meinen dritten 3D-Drucker zu Hause. Und bevor ich in den Baumarkt fahre, um mir irgendeinen Haken zu kaufen, der dann doch nicht genau passt, konstruiere und drucke ich ihn einfach selbst. Das spart Zeit, Geld und macht kreativ unabhängig. Ich glaube, dieser Wandel wird in Zukunft noch viel weitergehen – weg vom reinen Konsum, hin zur individuellen, maßgeschneiderten Fertigung.

Tosten Steffen auf der Coach beim gestikulieren
"Ein FabLab zu gründen, war schon lange mein Wunsch." Darum kam Torsten Steffen nach Flensburg.

Hat das auch Einfluss auf die künftige Entwicklung von Ingenieur*innen, also in der Ausbildung?

Sollte es haben. Also nicht nur für Ingenieur*innen. Es gibt bereits Unternehmen, vor allem in der Automobilindustrie, die das aktiv nutzen. Werker an der Montagelinie wissen oft am besten, welche Werkzeuge sie benötigen. Dank moderner Fertigungstechnologien können sie diese direkt vor Ort entwerfen, produzieren und testen. Das verändert nicht nur den Produktionsprozess, sondern auch die Rolle der Mitarbeitenden. Sie werden stärker in kreative Prozesse eingebunden, ihre Arbeit erhält mehr Wertschätzung, und ihr Wissen fließt direkt in die Weiterentwicklung ein. Ich denke, genau das muss sich auch in der Ingenieursausbildung widerspiegeln: Weg von rein theoretischen Konzepten, hin zu mehr Praxisnähe, Eigeninitiative und kreativem Problemlösen. Das wird die Zukunft maßgeblich prägen.

Wie hat sich die Studierendenschaft im Laufe der Jahre verändert?

Also, viele sagen ja, die Gen Z sei ganz anders, aber ich sehe das ehrlich gesagt nicht so. Die Studierenden haben sich aus meiner Sicht nicht grundlegend verändert. Was mir allerdings aufgefallen ist – speziell im Maschinenbau: Es gab eine Phase, in der mehr Frauen das Fach gewählt haben. Sonst lag der Anteil immer bei maximal 10 Prozent, und die wenigen Frauen, die da waren, gehörten oft zu den leistungsstärksten im Jahrgang. Als die Zahl anstieg, gab es plötzlich auch mehr, die das Studium wieder abbrachen. In Gesprächen kam oft heraus, dass sie nicht aus eigenem Antrieb Maschinenbau gewählt hatten, sondern weil es von außen nahegelegt wurde – sei es durch das Elternhaus oder wegen der Jobperspektiven. Das ist heute wieder anders. Diejenigen, die sich für Maschinenbau entscheiden, tun das bewusst und mit echtem Interesse. Und das ist, finde ich, eine gute Entwicklung.

Du hast ja viele Studierende beeinflusst, inspiriert oder motiviert. Gab es für dich Persönlichkeiten oder Mentor*innen, die in Deiner Karriere eine besondere Rolle gespielt haben? Wer war dein Torsten Steffen?

Ob es den Torsten Steffen tatsächlich gab, weiß ich nicht. Aber es gab immer wieder interessante Persönlichkeiten, die etwas gemacht haben, was andere nicht gemacht haben. Wo ich dachte: Wow, das ist cool! Ein Beispiel ist mein Mathelehrer Herr Ernst aus der Schulzeit. Er hat den Leistungskurs ganz anders gestaltet, als es damals üblich war. Er hat sich zurückgenommen und uns den Unterricht selbst gestalten lassen. Das war für mich eine völlig neue Art des Lernens und hat mich stark beeinflusst. Dann war da mein Doktorvater, Rainer Bruns von der Bundeswehr-Universität (heute Helmut-Schmidt-Universität, Anm. d. Red.). Er hat mich immer wieder herausgefordert, noch tiefer zu gehen, genauer hinzusehen, mich nicht mit einfachen Antworten zufriedenzugeben. Aber es sind nicht nur diese beiden Personen – es waren viele Menschen, Weggefährten, von denen ich etwas mitgenommen habe. Ich glaube, es ist ein Sammelsurium aus Inspirationen, das mich dahin gebracht hat, wo ich heute stehe.

In Abschiedsinterviews gibt es ja immer diese Frage: Was hättest du anders gemacht? Aber was hättest du dir gewünscht, schon früher getan zu haben?

Diese Frage hat mich tatsächlich schon oft beschäftigt. Und ich habe das Gefühl, dass alles genau zur richtigen Zeit passiert ist – auch die schwierigen Dinge. 1993 hatte ich zum Beispiel eine Krebserkrankung. Das war natürlich eine heftige Erfahrung, aber rückblickend war sie auch ein wichtiger Wendepunkt. Sie hat mir einen Kick gegeben, der mich in die richtige Richtung gelenkt hat. Auch meine 13 Jahre bei der Bundeswehr als Offizier – das war eine prägende Zeit, die mir viel mitgegeben hat. Ich bereue nichts davon. Ich bin komplett fein mit meinem Weg und glaube, dass jede Station genau dann kam, wann sie kommen sollte.

Das klingt schön. Und was kommt jetzt im Ruhestand? Hast Du was geplant?

Ich bin gerade dabei, eine kleine Firma zu gründen. Und mache da im Endeffekt mit Sachen weiter, die ich hier im FabLab auch gemacht habe. Also, Digitalisierung von Produkten, Reproduzieren von Produkten und so weiter.

Gibt es da noch irgendwas, was Du mit Deinem 3D-Drucker drucken willst?

Ja, da gibt es tatsächlich noch etwas. Ich hätte gerne den Metall-3D-Druck noch weiter vorangebracht. Wir haben das hier im FabLab ja schon ausprobiert, und ich sehe da riesiges Potenzial, besonders für kleine und mittelständische Unternehmen. Das Problem ist nur: Ich habe bisher keine Firma gefunden, die wirklich investiert – und dabei reden wir über gerade mal 1.000 Euro, um es einfach mal auszutesten. Zum Beispiel könnte man mechanisch belastete Teile für Oldtimer oder andere Bauteile auf diese Weise fertigen, statt auf einer klassischen CNC-Maschine.

Ob das noch kommt?

Keine Ahnung. Aber wenn eine Firma plötzlich sagt, „Hey, lass uns das ausprobieren“, dann würde ich das Thema sofort wieder ausgraben.

Am Schluss, was wünschst du der Hochschule Flensburg für die Zukunft?

Dass die Grenzen zwischen Hochschule Flensburg und der Europa-Universität endlich eingerissen werden. Es gibt so viel Potenzial in einer engeren Zusammenarbeit – und jeder Außenstehende, mit dem ich darüber gesprochen habe, sagt nur: „Warum macht ihr das nicht?“ Ich habe bis heute keine wirklich nachvollziehbaren Argumente dagegen gehört. Diese Verbindung würde dem gesamten Standort guttun. Doch bisher scheint niemand das ernsthaft anzugehen. Ich glaube, wenn das passiert, wäre die Hochschule für die Zukunft deutlich besser aufgestellt. Momentan – zumindest so, wie ich es mitbekomme – sieht es nicht allzu rosig aus. Aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja noch.

Torsten Steffen und Kristof Gatermann sitzen auf Sofas und unterhalten sich.
"Die Studierenden haben sich aus meiner Sicht nicht grundlegend verändert", sagt Torsten Steffen, der viel mit Studierenden gearbeitet hat. – Foto: Mirco Höfer